Verkehrswende statt Sechsspur-A1
Die Grünen Aargau blicken mit Besorgnis auf den verkehrspolitischen Entscheid des Bundesrates, den Sechsspur-Ausbau der Autobahn A1 durch den Kanton Aargau voranzutreiben. Gleichzeitig geht der Kanton Aargau bei der Vergabe der dritten Generation der Agglomerationsprogramme leer aus. Dabei würden diese Mittel viel dringender gebraucht, um die Verkehrsprobleme zu bewältigen und umweltfreundliche Formen der Mobilität zu fördern. Mit Blick auf die Herausforderungen der Klimapolitik und die offensichtliche Unlösbarkeit von Verkehrsproblemen durch Kapazitätsausbau fordern die Grünen eine Kehrtwende der Verkehrspolitik, die nicht weiter den MIV fördert, sondern ÖV, Fuss- und Veloverkehr und eine sinnvolle Raumplanungspolitik mit Fokus auf kurze Wege zwischen Wohnen, Arbeiten und Freizeit.
Seit Jahrzehnten wird versucht, Verkehrsprobleme durch den Ausbau von Kapazitäten zu lösen – mit höchst zweifelhaftem Erfolg. Längst ist klar, dass die nachfrageorientierte Verkehrspolitik versagt hat. Die Folgen des «Strassenbaus auf Vorrat» sind zersiedelte und von Strassen zerschnittene Landschaften, zerstörte Naturräume, Schlafgemeinden ohne soziales Leben und die Allgegenwart von motorisierten Fahrzeugen im öffentlichen Raum mit all seinen negativen Folgen für Gesellschaft, Mensch und Umwelt.
Mit kontinuierlichem Ausbau von Strassenkapazitäten wird der klassische motorisierte Individualverkehr gefördert, obwohl alle wissen, dass dies aus ökologischen Gründen keine Zukunft hat. Stattdessen muss Verkehr wenn möglich vermieden und, wo er sinnvoll und nötig ist, effizienter werden. Die Priorität muss auf dem öffentlichen Verkehr, dem Fuss- und dem Veloverkehr liegen. Für den Individualverkehr braucht es eine Strategie, die Car-Sharing mit den Bedürfnissen angepassten, energieeffizienten Leichtfahrzeugen (bis 80 km/h) fördert und die privaten fahrbaren Offroad-Rennwohnzimmer beschränkt.
Mehr Bahn statt Autobahn
Die Ursache von Kapazitätsengpässen im Strassenverkehr liegt nicht in einem Mangel an Strassen, sondern in ihrer ineffizienten Nutzung. Stau gibt es vor allem im Pendlerverkehr, wo durchschnittlich nur gerade 1,1 Personen in einem Fahrzeug unterwegs sind. Neue Technologien ermöglichen heute eine multimodale Mobilität, dank der für jede Aufgabe und jeden Streckenabschnitt das optimale Verkehrsmittel gewählt werden kann. Die bestehenden Infrastrukturen lassen sich so viel effizienter nutzen.
Die wahren Kapazitätsprobleme bestehen denn auch nicht auf der Strasse, wo heute die meisten Fahrzeuge fast leer unterwegs sind, sondern bei der Bahn. Die Grünen fordern statt des Autobahnausbaus die rasche Beseitigung der Engpässe im Schienennetz zwischen Zürich und Aarau durch Realisierung einer zweiten Tunnelröhre am Heitersberg und den Ausbau vom Heitersberg bis Rupperswil, um die Strecke via Baden–Brugg zugunsten des Regionalverkehrs zu entlasten. Auszubauen sind auch die Bahnhof-Nadelöhre im Aargau, insbesondere Lenzburg, und basierend darauf eine aktivere Umsteigepolitik. Dann tut’s die Autobahn noch lange.
Weniger Verkehr – mehr Lebensqualität
Unnützer Verkehr ist immer eine Last und eine Beeinträchtigung der Lebensqualität. Das billig und im Übermass zur Verfügung stehende Verkehrsangebot setzt falsche Anreize. Statt Verkehrsinfrastrukturen sollen Home-Office und Co-Working-Angebote in den Wohngemeinden gefördert werden; eine sinnvolle Raumplanung setzt die Priorität auf die räumliche Integration von Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Reine Schlafstädte abseits des Arbeitsangebotes und reine Bürostädte abseits von Wohnmöglichkeiten führen zu einer Zwangsmobilität, die nicht im Interesse unserer Gesellschaft ist.
Wer mehr Strassen baut, wird mehr Verkehr ernten. Die Erfahrung zeigt, dass neue Kapazitäten rasch ausgenutzt werden und erst ein Flaschenhals dem Verkehrswachstum eine Grenze setzt. Es ist sinnvoll, wenn diese Engpässe auf den Autobahnen ausserhalb des Siedlungsgebietes liegen. Dazu braucht es starke öffentliche Alternativen wie die Bahn. Ausweichverkehr über das Kantonsstrassennetz muss mit geeigneten Mitteln unterbunden werden, damit die Feinerschliessung durch den öffentlichen Verkehr nicht beeinträchtigt wird und die Lebensqualität in den Ortschaften erhalten bleibt.
Die Mittel aus dem Agglomerationsprogramm wären dazu da, die vom motorisierten Individualverkehr verursachten Verkehrsprobleme zu lösen. Dass der Kanton Aargau leer ausgeht, ist eine schallende Ohrfeige aus Bern und die Quittung dafür, dass es der Kanton Aargau verpasst hat, glaubhafte Projekte einzureichen und sich Finanzierungsbeiträge des Bundes zu sichern. Die Niederlage ist eine direkte Folge der falsch gesetzten Prioritäten im Baudepartement und schmerzt umso mehr, als das BVU im Ostaargau mit der OASE Versprechungen macht, die in eine andere Richtung zielen. Eine gute Aufenthaltsqualität im Strassenraum ist die beste Förderung für den Fuss- und den Veloverkehr. Voraussetzung dafür sind attraktive öffentliche Räume und möglichst wenig motorisierter Verkehr.
Die Grünen fordern den Kanton Aargau auf, darzulegen, wie er die vom Grossen Rat im Strategiepapier MobilitätAARGAU verabschiedeten verkehrspolitischen Ziele umzusetzen gedenkt. Mit schönen Worten allein ist es nicht getan.