Altersvorsorge 2020 – notwendig und gut!
Irène Kälin, Grossrätin, Fraktionspräsidentin Grüne|Bei der sozialen Sicherung im Alter geht es zweifelsohne um viel. Kein Wunder ist die Vorlage der Altersvorsorge 2020 – über welche wir am 24. September abstimmen werden – äusserst komplex. Das übergeordnete Ziel der Vorlage ist die Sicherung des Rentenniveaus, sprich die Verhinderung von Rentenkürzungen. Dazu muss gewährleistet sein, dass für die Finanzierung der Renten genügend Geld vorhanden ist. Die Vorlage ist aber auch eine Anpassung der Rentenmodalitäten an eine veränderte gesellschaftliche Realität, und nicht zuletzt werden mit der Altersvorsorge 2020 (AV2020) bestehende Lücken geschlossen – nicht nur bei der Finanzierung, sondern auch inhaltlich, zum Beispiel bei der Teilzeitarbeit.
Ist die Reform überhaupt notwendig?
Da die Altersreform 2020 neben vielen Vorteilen auch einen gewaltigen Nachteil hat, stellt sich die grundlegende Frage nach der Notwendigkeit dieser Vorlage. Wäre es nicht auch möglich, einfach alles beim Alten zu lassen? Die Antwort ist nein. Denn der Druck auf die Renten nimmt stetig zu. Nicht nur die Pensionskassen stehen in Anbetracht der tiefen Zinsen und verspekulierten Geldern vor Deckungslücken, auch die AHV nimmt seit kurzem weniger Geld ein, als sie ausgibt. Ob sich die Pensionskassen je wieder fangen und ihr Handeln wirklich an den Menschen ausrichten, die auf sie zählen, weiss ich nicht. Aber das negative Umlageergebnis der AHV wird vorübergehen – vorausgesetzt, es gibt eine Überbrückung, sprich die Reform. Denn der Renteneintritt der Baby-Boom-Generation belastet das Umlageergebnis der AHV nur vorübergehend. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die Pillenknick-Generation ins Rentenalter kommen wird. Bis dahin braucht es aber eine Zusatzfinanzierung, damit die AHV-Finanzen bis 2030 nicht in Schieflage kommen.
Schlecht für die Frauen – gut für die Frauen
Nehmen wir die schlechte Botschaft vorweg. Klar negativ ist die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre. Ich persönlich war immer der Meinung, dass das Rentenalter 65 für Frauen erst dann hätte diskutiert werden dürfen, wenn die geschlechterbedingte Lohndiskriminierung der Vergangenheit angehört. Um bei diesem Punkt ehrlich zu sein: das ist ein Rückschritt für alle Frauen ab Jahrgang 1954 – „das schläckt kei Geiss weg“.
Aber es gibt auch Neuerungen mit der AV2020, die für Frauen einen Fortschritt bringen. Heute ist eine Mehrheit der Frauen berufstätig; viele aber Teilzeit. Teilzeitarbeit wurde bisher bei den Pensionskassen massiv benachteiligt, da aufgrund des Koordinationsabzugs nur ein kleiner Teil des Lohns versichert werden kann. Die Zahlen sprechen hier eine klare Sprache: Frauen haben im Durchschnitt 63% tiefere Pensionskassenrenten als Männer. Das soll sich ändern. Mit der AV2020 wird Teilzeitarbeit bei den Pensionskassen besser versichert. Der Koordinationsabzug wird flexibilisiert und nach unten korrigiert. Davon profitieren in erster Linie Arbeitnehmerinnen mit Teilzeitstellen und kleinen Löhnen.
Modernisierung tut Not
Ein weiterer Vorteil der Reform ist deren Anpassung auf die gesellschaftliche Realität. Wer heute vor der Pensionierung die Stelle verliert, hat im Alter keinen Rentenanspruch aus der Pensionskasse mehr. Er ist gezwungen, das Kapital aus der Pensionskasse zu beziehen. Das soll sich ändern. Wer mit 58 seinen Job verliert, bleibt bei seiner bisherigen Pensionskasse versichert, auch wenn er oder sie bis zur offiziellen Pensionierung keine Stelle mehr findet. Der Rentenanspruch bleibt damit bestehen und der Zwang zum Bezug des Altersguthabens wird aufgehoben. Das ist zwar erst ein kleiner Schritt, aber er zeigt in die richtige Richtung. Denn das Risiko für ältere Arbeitnehmende, nach einem Stellenverlust keine neue Stelle mehr zu finden, steigt leider stetig. Weiter soll mit der AV2020 die gleitende Pensionierung erleichtert werden. Denn heute besteht nur eine geringe Flexibilität im Rentenbezug. Das soll sich ändern. Die Kombination von Teilzeitarbeit und Teilrenten im Alter zwischen 62 und 70 steht neu allen offen. Zudem sinken die Rentenkürzungen bei einer vorzeitigen Pensionierung.
Stärkung der AHV ist historisch
Der Umwandlungssatz bei den Pensionskassenrenten soll von 6.8 auf 6% sinken, und damit verliert man bei den Pensionskassenrenten 0.8%. Um diesen Verlust auszugleichen, gibt es mehr AHV. Da die AHV allen zugutekommt, was bei der Pensionskasse nicht der Fall ist, ist das nicht nur eine Stärkung der AHV, sondern auch besonders wichtig für die Frauen, die oft nur kleine oder gar keine Pensionskassenrenten haben. Das ist historisch. Denn die AV2020 ist die erste AHV-Rentenverbesserung seit 20 Jahren, ja sogar die erste Rentenerhöhung seit 42.
Das führt zu deutlichen Rentenverbesserungen. All jene, die beim Inkrafttreten der AV2020 45-jährig oder älter sind, profitieren von einer Besitzstandswahrung. Das heisst: Für all jene Personen darf die Pensionskassenrente bei der Pensionierung nicht um 0.8% gekürzt werden. Sie profitieren aber trotzdem vom AHV-Zuschlag und bekommen daher eine höhere Rente, als sie nach dem heutigen Modell bekommen würden. Aber auch jüngere Menschen können davon profitieren. Denn nur weil es für alle unter 45-Jährigen etwas weniger Umwandlungssatz auf ihre Pensionskassenrenten gibt, so heisst das nicht, dass sie zwangsläufig eine schlechtere Rente haben. Denn auch sie profitieren natürlich vom AHV-Zuschlag und zudem über viele Jahre von der Flexibilisierung des Koordinationsabzugs, was dazu führt, dass sie mehr Lohn in der Pensionskasse versichert haben werden beim Eintritt in den Ruhestand und daher auch mehr Rente beziehen können.
Die Jungen zahlen die Renten der Alten
Daneben gibt es aber auch jene – insbesondere Menschen mit guten Löhnen – welche von der AV2020 nicht individuell profitieren, sondern mehr einzahlen während ihrer Berufstätigkeit und später einmal nicht im selben Umfang mehr Rente beziehen können. Tiefere Einkommen profitieren sicher mehr von der AV2020 als hohe, und sowieso ist klar, dass 70 CHF auf kleine Renten prozentual mehr ausmacht als auf grosse. Man darf aber die soziale Sicherung im Alter so oder so nicht zu fest im Licht des persönlichen Profits betrachten. Denn selbstverständlich bezahlen die Jungen die Renten der Alten. Das ist das grundlegende Prinzip der Altersvorsorge, insbesondere der AHV. Der Generationenvertrag zwischen Alt und Jung ist eine solidarische Sache ohne Garantie, dass jeder im selben Umfang einmal davon profitieren wird. Wer früher stirbt, profitiert nachweislich weniger.
Der bestmögliche Kompromiss
Man kann es also drehen und wenden wie man will, diese Reform haut niemanden aus den Socken. Sie ist der bestmögliche Kompromiss, aber leider nicht mehr. Gerade deshalb ist die AV2020 nicht nur notwendig, sondern sogar gut. Unter dem Strich auch für die Frauen, die mit der Erhöhung des Rentenalters zweifelsohne den grössten Preis für diese Reform zahlen. Und wenn etwas notwendig und gut ist, dann sollten wir dazu Ja sagen. Denn mit der sozialen Sicherung im Alter spielt man nicht.